„Die verfluchten Berge“ – Fernwandern auf den Peaks of the Balkans


Teresa TeklićText/Fotos

Diesen Sommer wollte ich mit einem Freund die Peaks of the Balkans wandern – eine zehntägige Trekking-Tour im Dreiländereck Albanien, Kosovo und Montenegro. Ich hatte mich monatelang darauf vorbereitet. Warum wir trotzdem nach nur vier Tagen abgebrochen haben, erfahrt ihr in meinem Artikel. 

19. Juni 2024, Montenegro – Ich sitze vor einer Berghütte, Blick nach Nordwesten, auf das Bjelasicagebirge. Der Himmel ist blau, die Sonne heiß: Kaffeepause nach den ersten Höhenmetern des Tages. Gleich wandern wir weiter zum Hridsko Jezero, einem herrlich warmen Bergsee, in dem wir ausgiebig schwimmen. Der Trail dorthin führt uns durch einen lichten Wald. Der weiche Boden federt unter unseren Tritten, die Kiefern spenden erholsamen Schatten, die Bienen summen. Das Leben ist gut. 

Teresa auf den Peaks of the Balkans

Kaffeepause an der Samel’s Hut mit grandioser Aussicht.

Es ist mein dritter Tag auf dem Peaks of the Balkans (PoB), einem 190 km-langen Fernwanderweg durch die albanischen Alpen, den Kosovo und Montenegro. Was ich nicht weiß: Es soll auch mein letzter sein. Morgen werden mein Freund und ich die Tour abbrechen. In vier Tagen werden wir im Flieger zurück nach Deutschland sitzen. 

Die Vorbereitung – Probezelten und Gemüse dörren

An mangelnder Vorbereitung hat es wirklich nicht gelegen. Ich habe im Januar bei -2° C auf meinem Balkon Schlafsäcke getestet. Wir haben im April an einem See gezeltet, um unsere neue Ausrüstung auszuprobieren. Mein Freund hat sich den Peaks oft the Balkans Wanderführer von Rother gekauft, ich habe ihn von der ersten bis zur letzten Seite gelesen, mir Notizen zu Tagesetappen, Distanzen, Höhenmetern, Unterkünften, Zeltplätzen und Einkaufsmöglichkeiten gemacht. Ich habe regelmäßig Leg Days eingelegt, um fit zu sein, und eigenhändig Gemüse im Ofen gedörrt, um ultraleichte Trockennahrung für den Trail zuzubereiten. Wir sind ready.

Ein Hotel im Kosovo – Searching for your luggage

Drei Tage vor Abflug werde ich krank. Nur eine Erkältung, aber ein bisschen nervös werde ich trotzdem. Die Tagesetappen auf dem PoB umfassen im Durchschnitt 20 km und über 1.000 hm, dazu trage ich gut 15 kg Gepäck auf dem Rücken – Das wird auch ohne Erkältung anstrengend genug. Nach einem langen Reisetag landen wir endlich im Kosovo. Mein Rucksack leider nicht. Den hat die Fluggesellschaft in Wien vergessen. Wir sitzen also die nächsten Tage im Hotel fest, wissen nicht, ob und wann das Gepäck kommt. Der Status in der App sagt mir nach jedem Aktualisieren: Searching for your luggage. Ohne Rucksack keine Tour. 

Zwei Tage später hat die Fluggesellschaft ein Erbarmen und ein Kurier übergibt mir meinen Rucksack in der Hotellobby. Weil wir unsere Tour mit zwei Tagen Verspätung beginnen, streichen wir einen Teil der ersten Etappe und unseren Ruhetag. Jetzt muss alles klappen. 

Peaks of the Balkans – (Fail) Trail Story

Durchfall und Fliegen 

Tag 1 auf dem Trail: Nach wenigen Stunden treffen wir auf eine große Gruppe anderer Thruhiker. Ihre Gruppe habe sich seit Tourenbeginn schon verkleinert, berichten sie – Magen-Darm-Probleme. Anscheinend stimmt etwas mit dem Trinkwasser nicht. Wir sind heilfroh, dass wir einen Wasserfilter und Wasserdesinfektionstabletten dabei haben. An diesem Tag wollen wir Wildzelten. Die Landschaft ist wunderschön, aber an keinem der beiden Seen, die ich ins Auge gefasst hatte, kann man wirklich gut kampieren. Danach führt der Trail einige Kilometer weit steil bergauf. Auf unserem Kartenmaterial erkennen wir keine nennenswerten Plateaus, auf denen wir zelten könnten. Wir sind müde, hungrig und zunehmend gestresst von dieser erfolglosen Zeltplatzsuche, als wir endlich eine geeignete Stelle direkt neben dem Trail finden.

Bestes Trail-Life

Uns eröffnet sich ein fantastischer Blick auf die umliegenden Bergketten und die Rugovaschlucht, aus der wir heute heraufgestiegen sind. An diesem Abend leben wir unser bestes Trail-Life! Es gibt Couscous vom Campingkocher und Cocktail aus dem Ultralight-Flachmann. Wir starren andächtig auf die im Sonnenuntergang rosarot leuchtenden Berge und später in ein kleines Lagerfeuer. 

Sonnenuntergang auf der Etappe Guri i Kucq nach Babino Polje. 

Aber auch hier ist das Idyll getrübt: Es wimmelt von Fliegen. Schon auf dem Trail sind sie zu hunderten um uns herumgeschwirrt. Das laute Summen lässt nicht nach – beim Zelt Aufbauen, Auspacken, Essen, Spülen – die Fliegen lassen sich nicht vertreiben. 

Alles ist anstrengend

Am nächsten Tag geht es nicht nur mit dem Trail, sondern auch mit uns steil bergab. Mein Freund hat im Zelt schlecht geschlafen und außerdem meine Erkältung abbekommen. Und die Fliegen sind auch immer noch da. Er hat keinen Bock mehr.

»Ich bin körperlich nach wenigen Metern Wandern schon wieder genauso fertig wie gestern am Ende des Tages. Meine Beine sind bleischwer und bergauf geht mein Puls durch die Decke.«

Alles ist anstrengend. Die gefühlte Ewigkeit, die ich über ein Geröllfeld stolpere, weil ich kurz die Trailmarkierung aus den Augen verliere. Die Stunde, in der uns das Wasser ausgeht, bis wir an einer Quelle unsere Vorräte auffüllen können. Die nächste halbe Stunde, die wir warten müssen, bis die Chlortabletten das Wasser trinkbar gemacht haben. Die Unsicherheit darüber, ob es am Etappenziel eine Unterkunft gibt, in der wir essen und schlafen können. Die Sorge, wieder so lange nach einem Zeltplatz suchen zu müssen wie gestern. 

Wir finden eine Unterkunft, aber auch das ist alles irgendwie zäh und am nächsten Tag ist mein Freund immer noch krank. Er will entweder einen Ruhetag einlegen oder die Etappe stark abkürzen. Ich bin unschlüssig, was ich machen soll. Mit ihm abkürzen? Allein die reguläre Etappe gehen? Mich einer anderen Gruppe Hikern anschließen, die wir in unserer Unterkunft kennen gelernt haben? 

Ich möchte nur noch heulen

Spontan schließe ich mich einer Gruppe an und habe einen großartigen Tag. Bis ich sie einen Kilometer vor dem Etappenzielort Plav aus den Augen verliere. Ich gehe zum falschen Zeltplatz. Es sind 33° C, die letzten drei Stunden sind wir in der vollen Sonne gewandert, ich fühle mich wie kurz vor einem Hitzeschlag. Mittagessen haben wir auch vergessen. Ich habe hier kein Internet und keine Nummern ausgetauscht. Mein Freund ist irgendwo in Plav. Ich möchte nur noch heulen. Als ich ihn wiederfinde, hat er in ein skurriles Hotel mit unangenehmem Vibe eingecheckt. Wir sind die einzigen Gäste im menschenleeren Haus. Das Essen im Restaurant ist so ungenießbar, dass ich auf unserem Zimmer einen Müsliriegel esse und hungrig schlafen gehe. Und mein Freund sagt, er müsse noch mindestens zwei, vielleicht drei weitere Ruhetage einlegen. 

Am Verzweifeln

Allein wandern ist mir zu heikel. Mein Freund trägt einen Teil unseres gemeinsamen Gepäcks, darunter Campingkocher und Gas. Ich bin aber jetzt schon mit meinem Gewicht am Limit und will auf keinen Fall noch mehr tragen, aus Sorge, dann die Etappen nicht mehr zu schaffen. Ohne Essen losziehen will ich aber auch nicht. Außerdem gibt es in der Gegend Bären. Gleich am nächsten Tag erzählen uns andere Hiker von einer Bärensichtung auf ihrer heutigen Etappe. Natürlich kann mich mein Freund im Zweifelsfall auch nicht vor einem Bärenangriff beschützen, aber es geht um das subjektive Gefühl von Sicherheit. Und das für mich viel damit zu tun, nicht alleine zu sein.

Die verfluchten Berge

Jeden Tag spielen wir Möglichkeiten durch, Strecken abzukürzen, nach Ruhetagen wieder in den Trail einzusteigen oder uns aufzuteilen und wieder zu treffen. Das Spiel macht keinen Spaß. Ein Riesenproblem auf Fernwanderungen ist, dass man Etappen nicht einfach überspringen kann. Je wilder die Natur, desto schlechter die Verkehrsanbindung. Der PoB führt lediglich durch kleinere Ortschaften in den Bergen. Von einem Etappenziel zum nächsten gelangt man häufig nur über größere Umwege und einer Mischung aus Fußwegen, Taxi- und Busfahrten. 

Die ganze Planerei macht uns wahnsinnig. Die Hitze setzt uns zu – die Prognose lautet: Hitzewelle in Südosteuropa mit Temperaturen von über 40° C. Schließlich die Ungewissheit, ob und wann sich mein Freund wieder fit genug fühlt, um überhaupt weiter zu wandern. An unserem vierten Tag auf dem Trail brechen wir ein und buchen neue Rückflüge nach Deutschland.

»Ein alter Name für die Albanischen Alpen lautet Bjeshkët e Nemuna, was übersetzt so viel wie „die verfluchten Berge“ oder „die verwunschenen Berge“ heißt. Für uns sind sie diesmal wahrhaftig verflucht.«

Rückblick – Einen Monat später

Man kann es nicht anders sagen, dieser Urlaub war eine ziemliche Katastrophe. Wir hatten einfach eine Menge Pech. Die Erkältungen, das verspätete Gepäck, die schwierige Wasser- und Essenssituation auf dem Trail, die ungewöhnlich hohen Temperaturen – all das konnten wir weder vorhersehen noch verhindern. Die offensichtlichste trail lesson ist wohl, dass auch die beste Vorbereitung manchmal nicht gegen alles hilft, was einem entgegengeschleudert wird. Es gibt nur ein Problem mit diesem Fazit: „Manchmal hat man eben Pech“ finde ich als Antwort unbefriedigend. Deswegen habe ich mir Gedanken gemacht wie ich Wege finden kann, mit solchen Widrigkeiten umzugehen und dabei die gute Laune nicht zu verlieren? Und was ich beachten würde, wenn ich nochmal zu zweit in die Berge ziehe? Die Ergebnisse meiner Überlegungen könnt ihr in Lessons from the Trail – 7 Tipps zum Fernwandern nachlesen.

Mentale Berg- und Tal fahrten oder Fails auf eurer letzten Tour – Fail Storys gehören einfach dazu und lassen uns mental wachsen. Auch Dominique berichtet im The Female Explorer Magazin No. 8 von ihrer Fail Story auf dem Great Divide Trail.

Kennt ihr ähnliche Erfahrungen, die ihr gern mit der Community teilen möchtet, dann sendet eure Fail Story Idee an story@thefemaleexplorer.de!

Habt ihr auch schon mal eine Tour abgebrochen, weil alles schiefgegangen ist? Berichtet davon in den Kommentaren! 

Über die Autor:in

Teresa Teklić

Teresa ist noch relativ neu im Outdoorgame. Als Stadtkind hat sie erst in ihren Zwanzigern Wandern, Zelten und Klettern für sich entdeckt. Jetzt tastet sie sich an immer längere Fernwanderungen heran.

Wilder
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