
Community Story
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Solo-Radtour über die Alpen von Nizza nach Turin
Ich ahne, dass dieser Tag anstrengend wird und ich meine Grenzen kennenlernen werde. Wie sehr ich den Anstieg allerdings unterschätze, wird mir schnell bewusst. Schon bald spüre ich ein Schwächegefühl in den Beinen und mein rechtes Knie schmerzt mit jedem Höhenmeter mehr. Auf ca. 1.600 hm komme ich auf einem Wanderparkplatz an und verschnaufe kurz. Gerade als ich wieder losfahren will, werde ich zurückgepfiffen – im Nationalpark Mercantour sind Fahrräder verboten. Wie ich hier gelandet bin, wie ich meinen Weg finde und welche Herausforderungen auf meiner ersten Solo-Radtour von Nizza nach Turin sonst noch auf mich zukommen, lest ihr in diesem Artikel.
von Nizza nach Turin
Solo-Radtour
Zwischen Zweifel und Aufbruch
Der Entschluss für meine erste Solo-Radtour fällt spontan. Ich habe gerade eine längere Radtour mit einer Freundin von Karlsruhe nach Aix-en-Provence hinter mir und da meine Freundin für ihr Erasmus in Aix bleibt, stellt sich mir die Frage, wie ich von hier aus meinen Weg zurück nach Deutschland finde.
Meine Abenteuerlust ist noch nicht gestillt, also beschließe ich, einige Tage allein weiterzufahren. Die gleiche Strecke zurück kommt nicht in Frage, weshalb ich mich entscheide, mit dem Zug nach Nizza und von dort mit dem Fahrrad über die Alpen nach Turin zu fahren. Da ich bereits einiges an Kilometern in den Beinen habe, will ich mich nicht übernehmen und entscheide mich für den direktesten Weg.
»Ich will mir beweisen, dass ich mich allein zurechtfinden kann und ehrlich gesagt reizt mich auch das Abenteuer und Adrenalin«
Auf Komoot stelle ich mir eine Route zusammen. Mittlerweile bin ich super nervös – weil die Wettervorhersage für die kommenden Tage alles andere als rosig ist, weil es meine erste Solo-Radtour ist und weil ich nicht ganz einschätzen kann, ob ich mich mit der Strecke und den Höhenmetern nicht übernehme. Doch der Plan steht und es gibt für mich kein Zurück mehr.
Meine Tour und die genauen Daten dazu findet ihr auf Komoot.
Tipp: Wie ihr weiter unten im Artikel erfahrt, muss man auf dieser Strecke sein Fahrrad mehrere Stunden lang durch den Nationalpark Mercantour schieben, behaltet das bei der Planung der Tagesetappen also unbedingt im Hinterkopf!
Auf geht’s Richtung Berge
ein dramatischer Auftakt
In Nizza angekommen finde ich schnell den Radweg entlang der Flüsse Le Var und La Vésubie. Anfangs habe ich noch strahlenden Sonnenschein, doch je näher ich den Bergen komme, desto mehr verdunkelt sich der Himmel und irgendwann höre ich in der Ferne bedrohlich das Donnergrollen. Bis zum Campingplatz habe ich allerdings noch ein gutes Stück vor mir. Irgendwann befinde ich mich im einsetzten Regen auf einer viel zu engen, stark befahrenen Straße, die sich an der Felswand den Berg hinauf schlängelt. Aus beiden Richtungen fahren Autos, die kaum aneinander vorbeikommen. Dazu kommen Nebel und regelmäßig Tunnel, die ich durchfahre. Ich beginne mir die Frage zu stellen, ob dieses Unterfangen mich gerade in Lebensgefahr bringt und meine Abenteuerlust verabschiedet sich zusehends.
Die erste Etappe ist geschafft!
Völlig durchnässt komme ich am frühen Abend auf einem Campingplatz an und meine Erleichterung ist kaum in Worte zu fassen. Wie zur Belohnung für die Strapazen hört der Regen auf und die Sonne kommt hinter den Wolken hervor, sodass ich mein Zelt in aller Ruhe aufbauen und den Campingplatz bewundern kann, welcher idyllisch zwischen den Bergen eingebettet liegt.
Später unterhalte ich mich noch mit einer jungen Frau, die mit ihrer Wandergruppe hier ist. Sie ist neugierig, was mein Vorhaben betrifft, da sie selbst eine Solo-Radtour plant und durch die Erfahrungsberichte anderer Mut sammelt. Ich bin stolz auf mich, dass ich mich getraut habe, allein loszufahren und freue mich, dass ich andere damit inspirieren und ermutigen kann. Davon abgesehen ist es immer wieder schön zu merken, wie leicht man mit anderen Menschen ins Gespräch kommt, wenn man alleine unterwegs ist.
Unerfreulicher Zwischenfall und Mitfahrgelegenheit
Für den nächsten Tag ist ab nachmittags wieder Gewitter angekündigt, also stehe ich möglichst früh auf, um den Vormittag zu nutzen. Denn ich habe einiges vor mir: 82 km und 2.350 hm. Die Kilometeranzahl entspricht der durchschnittlichen Strecke, die meine Freundin und ich auf unserer Radtour nach Aix-en-Provence pro Tag zurücklegten – ohne Höhenmeter!
Ich ahne, dass dieser Tag anstrengend wird und ich an meine Grenzen kommen werde, aber da auf der Strecke vorher kein Campingplatz mehr liegt, muss ich durchziehen. Wie sehr ich den Anstieg allerdings unterschätzt habe, wird mir schnell bewusst. Schon bald spüre ich ein Schwächegefühl in den Beinen und mein rechtes Knie schmerzt mit jedem Höhenmeter mehr.
Auf ca. 1.600 hm komme ich an einen Wanderparkplatz und verschnaufe kurz. Gerade als ich wieder losfahren will, werde ich zurückgepfiffen. Als ich mich umdrehe, steht ein Aufseher des Nationalparks Mercantour vor mir und erklärt mir, dass Fahrrädern der Zutritt verboten ist.
Ich bin baff. Ich muss durch dieses Gebiet durch, einen anderen Weg gibt es nicht, außer alles wieder zurück und einmal außen herum zu fahren. Was ich auf keinen Fall will! Während ich noch mit dem Aufseher diskutiere, fährt ein älterer Mann mit seinem Auto vor. Es stellt sich heraus, dass er über eine Lizenz verfügt, die ihm das Fahren im Park erlaubt. Ich kann mein Glück kaum fassen: Als ich dem Mann meine Situation schildere, bietet er ohne zu Zögern an, mich und mein Fahrrad ein Stück mitzunehmen.
Grenzerfahrung im Märchenwald
Da ich den älteren Mann aufgrund seines starken Dialekts nicht gut verstehe, verständigen wir uns auf der Fahrt mit Händen und Füßen. Ich verstehe, dass er eine zweitägige Wanderung durch den Nationalpark geplant hat. Respekt, denke ich, denn das bedeutet, dass er bei Gewitter draußen übernachten muss. Und das auf dieser Höhe.
Auf halber Strecke halten wir an einer Quelle an, um unsere Wasserflaschen aufzufüllen. Ich bin überwältigt von der Unberührtheit und Schönheit des Parks – mir ist, als würde ich mich in einem Märchenwald wiederfinden. Hier haben Natur und Tiere noch einen Rückzugsort.
»Der Wald ist üppig grün, die Steine am Wegrand moosüberwachsen und bis auf das Plätschern des Wassers und Vogelgesang herrscht Stille«
Irgendwann halten wir wieder an: ab hier muss ich allein weiter und mein Fahrrad noch für zwei Stunden durch den Park schieben. Leider macht sich mittlerweile auch das Gewitter bemerkbar – mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich bedanke mich und mache mich daran, mein Fahrrad den teils sehr steilen Pfad hinaufzuschieben. Dieser besteht überwiegend aus größeren Steinen und wird regelmäßig von kleinen Bächlein gekreuzt, die den Weg in ein Flussbett verwandeln. Schnell spüre ich das Gewicht meines gut bepackten Fahrrads in den Armen. Immer wenn ich das Gefühl habe, mit meiner Kraft am Ende zu sein, staune ich jedoch darüber, wieviel Energie ich im Ernstfall doch noch mobilisieren kann.
Auf den etwas entspannteren Abschnitten hatte ich zwischendurch die Muße, die wunderschöne Landschaft einzufangen.
Aufreibende Schlafplatzsuche
Genau in dem Moment, in dem ich am höchsten Punkt ankomme, fängt es an wie aus Eimern zu schütten. Doch mein Ziel in Reichweite wissend mache ich mich zuversichtlich auf den Weg zum Skigebiet Isola2000. Dort, so der Aufseher, würde ich eine Unterkunft für die Nacht finden. Im Skigebiet angekommen muss ich allerdings feststellen, dass es beinah ausgestorben ist – die Saison ist vorbei und fast alle Hotels haben geschlossen. So verlassen hat der Ort etwas unheimliches, trostloses.
Irgendwann finde ich eine Familie, die in dem einzigen geöffneten Hotel untergebracht ist und mir erklärt, dass dieses bereits ausgebucht sei. Ich mache noch einen Versuch über Airbnb und tatsächlich – es gibt noch genau eine freies Zimmer. Was ein Glück! Die Vermieterin antwortet schnell, doch es ist ein nervenaufreibendes Unterfangen, das Zimmer in der labyrinthartigen Anlage zu finden. Als ich endlich sicher und trocken im Zimmer sitze, muss ich erst einmal durchatmen.
Faszinierend und unheimlich zugleich: historische Militäranlagen an der Grenze zwischen Frankreich und Italien
Endspurt und Abfahrt
Für den darauffolgenden Tag habe ich nur noch die letzten 500 hm bis zum höchsten Punkt meiner Tour vor mir. Da wie immer Gewitter für die zweite Hälfte des Tages angesagt ist, stehe ich zeitig auf und gelange am frühen Mittag auf den höchsten Punkt des Col De La Lombarde.
höchster Punkt meiner Solo-Radtour
Der Col de La Lombarde auf 2350 hm
»Meine Erleichterung ist unbeschreiblich und ich bin stolz darauf, wie ich die letzten Tage gemeistert habe. Die Krönung ist eine kleine Imbissbude. Ich hole mir ein riesiges Sandwich und einen Espresso und genieße die Aussicht.«
Auf dem Weg hoch bin ich durch dichten Nebel gefahren, der sich nun langsam lichtet und den Blick auf eine spektakuläre Aussicht freigibt. Die Sonne kommt raus und hier und da hängen noch zarte Nebelwölkchen zwischen den Bergen und auf den Hügeln, die mit lila Blumen gesprenkelt sind – es ist zauberhaft!
Danach geht es eine Stunde lang nur noch bergab. Meine Glückshormone spielen verrückt, während ich es laufen lasse und die schöne Landschaft bewundere. Als es unten angekommen wieder geradeaus geht, holt mich die Erschöpfung wieder ein. Bereits während des Anstiegs heute Morgen hat sich mein Knie erneut bemerkbar gemacht. Mir ist klar, dass ich es dringend schonen muss, um mich nicht ernsthaft zu verletzen. Also buche ich mir noch einmal eine Unterkunft für die Nacht und fahre am nächsten Tag mit dem Zug nach Turin. Ziel erreicht!
Gestärkt aus der Herausforderung gehen
Rückblickend kommen mir die vergangenen Tage wie ein Fiebertraum vor. Ich hatte in meinem Leben noch nie so viel Bammel wie auf dieser Tour. Gleichzeitig habe ich auch intensive Glücksgefühle und Stolz verspürt. Das Alleinsein hat mir dabei nichts ausgemacht. Im Gegenteil, ich genieße es, mit meinen Gedanken allein zu sein und mich meinem eigenen Tempo zu überlassen. Allerdings wären viele der schwierigen Situationen, in denen ich mich verloren fühlte, in Gesellschaft nicht einmal halb so schlimm gewesen. Sie alleine gemeistert zu haben, war eine wichtige Erfahrung für mich. Jetzt habe ich keine Hemmungen mehr, die nächste Solo-Radtour in Angriff zu nehmen. Denn ich weiß: am Ende gibt es immer einen Weg.
»Ich hatte richtig gelegen: diese Solo-Radtour hat mich über mich hinaus wachsen lassen und mein Selbstvertrauen gestärkt.«
Ihr wollt mehr über die Vorgeschichte erfahren? Euch hat die Abenteuerlust gepackt und ihr sucht noch nach der perfekten Route für eure nächste eigene Radtour? Dann freut euch auf Maikes Beitrag über ihre Fahrradtour von Karlsruhe nach Aix-en-Provence auf dem EuroVelo 6, den wir zeitnah veröffentlichen werden. Bis dahin lest gern Julias Artikel Bikepacking Georgien – Eine Solo Abenteuer Fahrradtour.
Habt ihr schon mal eine Solo-Radtour gewagt und was waren eure Erfahrungen dabei? Schreibt es uns in die Kommentare!