Community Story

Your stories – your magazine! Hier lest ihr einen Artikel aus unserer Female Explorer Community. Wir freuen uns über EURE Einsendungen an: story@thefemaleexplorer.de

Weisse Wildnis – mit Ski und Pulka allein durch Finnisch Lappland


Carry RambausekText/Fotos

Andy HughesTitelbild

Der Atem gefriert in der klaren Luft, Schneekristalle glitzern im Licht der tiefstehenden Sonne – und irgendwo dort draußen, allein zwischen endlosen Wäldern und gefrorenen Seen, zieht Carry ihre Spur durch die finnische Wildnis. Lautlos gleitet sie auf Skiern durch ein Winter-Wunderland, das zugleich friedlich und fordernd ist. Sie nimmt uns mit auf ihre Solo Ski-Tour durch Lappland – hinein in eine Welt aus Stille, körperlicher Anstrengung und tiefer innerer Ruhe. Als International Wilderness Guide teilt sie wertvolle Erfahrungen und Tipps, wie man sich auf die winterliche Einsamkeit vorbereitet, sich in ihr orientiert und zu Hause fühlt – und was es bedeutet, in der Kälte nicht nur zu bestehen, sondern darin aufzugehen.

Solo Ski-Tour: Kälte und Klarheit

Ich packe meine Pulka mit der notwendigen Ausrüstung, guter Nahrung, schnalle noch ein Paar Schneeschuhe als Ersatz oben-drauf – und los geht’s: Auf meinen Skiern gleite ich über den weißen Schnee, durch die glitzernden Wälder, über gefrorene Seen und die offenen Moorflächen. Ein absolutes Winter Wonderland umhüllt mich in seiner schönsten Pracht. Hier beginnt für mich die Magie, der Zauber des Winters. Die endlose Stille gibt mir das Gefühl, als wäre ich meilenweit das einzige lebende Wesen, jedes Rascheln erweckt sofort all meine Sinne. Alles erscheint rein und unberührt. Die Farben so kräftig. Die Luft so frisch. Der Wald so unglaublich friedlich.

Meine Fingerspitzen stechen, das Atmen fällt schwer und dunkel wird es auch schon wieder – der Winter im finnischen Lappland kann einiges abverlangen. Hier können die Temperaturen bis zu -30°C erreichen. Und trotzdem bin ich zu dieser Zeit am liebsten draußen unterwegs.

Als International Wilderness Guide in Finnland

Bevor ich nach Finnland zog, lebte ich in Deutschland und England und arbeitete Vollzeit in einem Büro. An den Wochenenden zog ich oft allein los und übernachtete im Wald. Bald wurden die Touren länger und das Biwakieren entwickelte sich schnell zu einer großen Leidenschaft. Ich absolvierte nebenher meine ersten Zertifikate als Wander- und Naturreiseleiterin und stieß einige Zeit später auf das 10-monatige Studium zum International Wilderness Guide (IWG) in Finnland. Ich hatte Finnland noch nie bereist, war aber neugierig auf die schier endlosen Weiten, die vielen Nationalparks und das Jedermannsrecht, das im Norden herrscht.

BIWAK

Ein Biwak ist ein Feldlager im Freien.

PULKA

Eine Pulka ist ein Lastschlitten zum Transport von Gepäck.

JEDERMANNSRECHT

Das Jedermannsrecht erlaubt jedem, sich überall frei in der Natur zu bewegen und 1–2 Nächte zu zelten.

Ganze 5 Monate sind die Straßen von Schnee und Eis bedeckt. Da muss das Fahren mit Spikes gekonnt sein!
©Andy Hughes

Infrastruktur für Eigenbrötler

Etwa 72 % des Landes sind bewaldet und bei mehr als 120.000 Seen ist man nie weit von einsamen Gewässern entfernt. Es gibt ein großes Netzwerk an Feuerstellen und einfachen Holzhütten zum Übernachten, alles frei und für jeden jederzeit zugänglich. Finnland hat etwa die gleiche Fläche wie Deutschland, aber nur ca. 5 Mio. Einwohner:innen – jetzt kann man erahnen, wie viel Platz die Wälder Finnlands bieten. Um den Polarkreis dauert der Winter etwa 5–6 Monate, von Ende Oktober bis Mitte Mai. Hier habe ich zum ersten Mal einen richtigen, tiefen Winter erlebt und liebte es sofort. Die Kälte belebt, der Schnee ist wirklich weiß, die Dunkelheit macht es gemütlich und die Pastellfarben am Himmel strahlen besonders lebendig von der tiefstehenden Sonne.

Bild 1: Carry in ihrem Element ©Andy Hughes, Bild 2: Mit einer Pulka wird Equipment gezogen.

So verzaubernd es auch klingen mag, draußen im Schnee zu übernachten ist körperlich und mental sehr herausfordernd – vor allem auf einer Solo Ski-Tour über mehrere Tage und abseits der Zivilisation. Wenn ich länger unterwegs bin, plane ich 4 wichtige Punkte im Vorfeld:

TourenPlanung
für extreme Bedingungen

  1. Karte und Tourenplanung
    Anhand einer topographischen (Papier-)Karte studiere ich die Gegebenheiten meines Zielgebietes und mache mir Notizen über Start und Ziel sowie Distanz und Dauer meiner geplanten Ski-Tour. Ich folge meist keiner vorgegebenen Route, deshalb ist es schwierig, vorab eine genaue Route zu skizzieren. Am Ende kommt es sehr auf die Schnee- und Wetterbedingungen vor Ort an. Nationalparks und andere geschützte Gebiete sind für solche Tourenweniger geeignet, aber der Norden Finnlands bietet viele unbewohnte Ecken mit unberührter Natur.
  2. Ausrüstung
    Im Unterschied zu Touren in den schneefreien Monaten muss im Winter viel mehr Ausrüstung mitgenommen werden. Deshalb benutze ich eine Pulka, die ich hinter mir herziehe und die vollgepackt ca. 30 kg wiegt. Zu den wichtigsten Teilen meiner Ausrüstung im Schlitten gehört ein warmer Winterschlafsack mit einer Komforttem-peratur bis -30°C, ein Tarp als Unterschlupf, ein gutes Outdoormesser, ein Firemaking-Kit, die Erste-Hilfe-Tasche, eine helle Stirnlampe, Kompass und Karte, GPS-Gerät mit SOS Funktion, eine dicke Daunenjacke und warme Handschuhe. Meine Kleidung ist fast ausschließlich aus Wolle, da sie die Wärme am besten leitet.
  3. Sicherheit
    Wenn ich allein auf Tour gehe, habe ich immer mein Garmin GPS Gerät dabei. Mit diesem kann ich nicht nur meine Route aufzeichnen, sondern auch im Notfall über den SOS Knopf Hilfe holen. Finnland hat zwar eine sehr gute Netzabdeckung, jedoch gibt es auch dort Begrenzungen in abgelegenen Gebieten. Mit einem aktiven Abo auf meinem Garmin Gerät kann ich eine SMS verschicken und so auch ohne Handyempfang jemanden kontaktieren.
  4. Nahrung
    Wenn ich am knisternden Feuer sitze, meine Hände wärmen kann und der geschmolzene Schnee im Wasserkessel fast kocht, dann kommt der Teil, auf den ich mich jedes Mal auf‘s Neue freue: Essen! Der Körper verbrennt im Winter viel mehr Energie und wenn die Außentemperaturen weit unter Null liegen, komme ich für eine Weile in einen Dauer-Hunger-Zustand. Mein Körper braucht dann besonders viele Kalorien und Fett, um sich warm zu halten. Für die Touren stelle ich mir daher vollwertige Mahlzeiten zusammen, um meinen täglichen Kalorienbedarf zu decken, der bei solch einer Aktivität bei etwas über 3.000 kcal pro Tag liegt. Wenn ich die Zeit und Möglichkeit habe, dörre ich meine Mahlzeiten vorher zu Hause, um Gewicht und Platz zu sparen – es geht aber auch ohne. Wichtig ist, dass mein Essen abwechslungsreich und ausgewogen ist und mir die nötige Energie gibt.
Carrys ‚most essentials‘ für eine Wintertour: Ohne Messer, Schaufel, Feuer Kit und GPS geht bei ihr nichts.

Meine Lagerroutine

Der anstrengendste Teil einer Tour ist meist der Lagerbau. Hierfür suche ich mir nach Gefühl einen geeigneten Platz mit genügend Feuerholz in der Umgebung (nur totes, abgestorbenes Holz). Bis ich jedoch gemütlich am Feuer sitzen kann, dauert es 2–3 Stunden. Zuerst muss ich mir meinen Lagerplatz freischaufeln, denn ohne Ski würde ich bis zu den Knien oder tiefer im Schnee versinken – das kostet extrem viel Kraft. Wenn mein Tarp als Schutz vor Neuschnee und Wind gespannt und mein Schlafquartier eingerichtet ist, mache ich mich auf die Suche nach Feuerholz. Wasser gibt es in Schneeform glücklicherweise zur Genüge, jedoch empfinde ich das Schmelzen als recht mühselig: 1 Liter Schneevolumen entspricht etwa 230 ml Wasser. Man muss also ganz schön viel schmelzen, um seinen Wasserbedarf zu decken.

Camp-Set Up mit Dreieck-Tarp, das vor Neuschnee schützt und die Wärme nach innen reflektiert.

Das vertraute Unbekannte

Es entsteht ein richtiges Feuer in mir, einfach loszuziehen, ohne Wege, einfach los ins vertraute Unbekannte. Ich könnte dann schreien vor Freude. Hier bin ich vollkommen in meinem Element, losgelöst von der „anderen“ Realität. Ich gehe bewusst allein los. Es reizt mich. Es fordert mich. Ich erlebe anders, wenn ich niemanden an meiner Seite habe. Ich wachse viel mehr an den Erfahrungen, wenn keiner da ist zum Helfen oder Fragen. Es macht mich stärker, wenn ich aus eigener Kraft schöpfen muss. Ich genieße die Zeit allein. Sie erweckt mich, macht mich lebendig und lehrt mich.

Ein nervöses Kitzeln spüre ich dennoch, wenn es nachts dunkel und mucksmäuschenstill wird. Das gehört dazu. Wirklich gefährlich wird es jedoch nur selten. Im Norden von Finnland gibt es zwar Bären (die im Winter schlafen), Wölfe, Vielfraße und Luchse, aber das ist wie ein Lottogewinn – diese Raubtiere machen einen großen Bogen um Menschen und man bekommt sie nur sehr selten zu Gesicht.

Ich erlebe anders, wenn ich niemanden an meiner Seite habe.

„Revontulet“ ist der finnische Name für Nordlichter. ©Andy Hughes

Leidenschaft für eisige Welten

Als International Wilderness Guide habe ich nicht nur meine Leidenschaft zum Beruf gemacht, sondern kann endlich auch anderen Menschen diese faszinierende Natur näher bringen. Ich finde es so wichtig, dass wir wieder mehr zu unserem Ursprung zurückfinden und lernen, uns draußen zurechtzufinden. Aber nicht nur das: Ein wichtiger Faktor meiner Arbeit ist die Wahrnehmung und Wertschätzung unserer Umwelt. Denn nur, wenn wir selbst da draußen gewesen sind, verstehen wir, warum es so wichtig ist, unsere kostbare Natur zu bewahren.

Mehr über Carry und ihre Expedition in die Arktis findest du in Sarahs Bericht vom The Female Explorer-Team über das Arctic Trekking auf Spitzbergen – eine Reise, bei der Carry gemeinsam mit anderen Abenteurerinnen die wilde Schönheit Spitzbergens erkundet hat.


Wie würdet ihr euch fühlen, tagelang allein in der tief verschneiten Wildnis unterwegs zu sein: erfüllt, ängstlich oder vollkommen frei? Schreibt es uns in die Kommentare und lasst uns wissen, ob ihr ein eigenes Winterabenteuer wagen würdet oder was euch noch davon abhält.

Über die Autor:in

Carry Rambausek

Carry folgt unermüdlich ihrer Leidenschaft für wilde Orte. Nach Jahren des Reisens zog es sie von Deutschland nach Finnisch Lappland, um als Wildnis- und Outdoor-Guide die Wunder des Nordens zu teilen. Die stille, zugleich kraftvolle Schönheit der unberührten Landschaft zieht sie immer wieder in ihren Bann.

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