Ultracyclistin Alina Hantke über das Three Peaks Bike Race


Alina Hantke ist leidenschaftliche Gravel- und Rennradfahrerin aus Österreich und stellt sich neuerdings einer ganz besonderen Herausforderung: dem Ultracycling. Im Interview erzählt sie uns von ihren Erfahrungen beim Three Peaks Bike Race – einem jährlich stattfindenden Ultradistanz-Radrennen: über die Relevanz physischer und mentaler Vorbereitung, ihren Umgang mit schwierigen Situationen unterwegs und was sie motiviert, weiter zu machen. Ein Gespräch über Leidenschaft, Mut und das Über-Sich-Hinauswachsen.

Ihre Leidenschaft für das Radfahren begleitet Alina schon ein Leben lang: Früher war sie mit ihren Eltern auf Radreisen, heute ist sie mit ihrem Freund auf langen Bikepacking-Touren unterwegs. Neben dem Radfahren studiert Alina Psychologie und Künstliche Intelligenz und hat zusammen mit ihrem Freund den ersten Gravel & Bikepacking Verein Gravel Grinders Graz in Österreich gegründet.


Alina, Um was geht es beim Ultracycling und was macht es zu einem besonderen Outdoor-Sport?

AUltracycling bedeutet allgemein sehr lange Distanzen auf dem Fahrrad zurückzulegen, meist in Form eines Rennens und mit wenig Pausen. Auf einer persönlichen Ebene bedeutet es für mich herauszufinden, wozu mein Körper in der Lage ist – und das mit einem Reiseabenteuer zu verbinden. Es ist besonders, weil man völlig auf sich allein gestellt ist. Man entscheidet selbst: Wann mache ich Pause? Wo schlafe ich? Was esse ich? Man ist draußen, mitten in der Natur und den Elementen ausgesetzt – sei es Wetter, Müdigkeit oder körperlicher Belastung. Und genau das macht es für mich so faszinierend.

Wie bist du zum Ultracycling gekommen und welche Erfahrungen hattest du zuvor auf dem Bike?

ASchon meine Eltern haben mit mir einmal im Jahr eine 1-wöchige Fahrradreise gemacht, auch wenn dies meistens nur Flussradwege waren. Zusammen mit meinem Freund habe ich schon zwei zweimonatige Bikepacking Touren gemacht: einmal von München ans Nordkap (4000 km) und einmal von Brüssel über Lands End nach John O’Groats auf dem GB-Divide (3500 km). Als wir dann von Österreich nach Schweden gezogen sind, wollte ich die Alpen noch einmal ganz bewusst erleben – da war das Three Peaks Bike Race perfekt. Von Wien bis Nizza, quer durch die Alpen. Das war mein erstes offizielles Ultrarennen. Zuvor war ich nur bei kleineren Events dabei, wie zum Beispiel dem Gravel Event „Kürbiskernschnitzeljagd Grevet“– eine 250 km, 4.000 hm Strecke von Graz nach Wien – das wir mit unserem Verein Gravel Grinders Graz selbst auf die Beine gestellt hatten.

Was motviert dich, solche Distanzen zu überwinden und mit welchen Herausforderungen wurdest du beim Ultracycling allgemein und beim Three Peaks Bike Race speziell konfrontiert?

AAnders gesagt: Wie genial ist es eigentlich, mit reiner Muskelkraft solche Distanzen zurückzulegen? Wenn man Tag für Tag konsequent radelt, steht einem buchstäblich die Welt offen!

Klar gibt es Herausforderungen wie Schlafmangel, mentale Erschöpfung oder Versorgungsengpässe.

»Aber ich finde, man muss nicht in dieses extreme Bild verfallen, das oft vermittelt wird: kaum Schlaf (und wenn an einer Bushaltestelle), Haribo als Grundnahrungsmittel oder völlige Erschöpfung. Ich bin das Three Peaks Bike Race (TPBR) über zehn Tage hinweg gefahren – mit sechs Stunden Schlaf pro Nacht und täglichen Mittagspausen.«

Ich habe nicht versucht, so schnell wie möglich zu fahren, sondern so gut wie möglich zu regenerieren. Die entscheidende Frage ist nicht: Wie viel Zeit hast du zu radeln?, sondern: Wie schnell kannst du dich erholen? Damit habe ich die 250-300 km pro Tag geschafft, und hatte trotzdem genug Zeit zum regenerieren.

wie bist du mit diesen Herausforderungen umgegangen und was rätst du anderen, die sich dem stellen wollen?

AMeine vielen Bikepacking-Touren davor waren Gold wert – nicht nur körperlich, sondern auch mental. Ich wusste: Es wird sowieso anders kommen als geplant. Diese innere Ruhe hat mir sehr geholfen. Da ich Psychologie studiere, habe ich mich intensiv mit der mentalen Vorbereitung beschäftigt. Ich hatte vor dem Rennen 2–3 Einheiten mit einem Sportpsychologen, in denen wir meine Motivation und ein persönliches Motto für das Rennen erarbeitet haben. Das Motto habe ich mir auf einen Zettel geschrieben und ans Rad geklebt. Am wichtigsten aber: Ich habe mir bewusst Zeit gegeben, mich zu erholen. Ich wollte das Rennen nicht „durchstehen“, sondern erleben. Ich habe mich nicht angemeldet, um sagen zu können „Ich habe gefinisht“, sondern weil ich Bock auf das Rennen selbst und die Strecke sowie die Erlebnisse auf dem Rad hatte.

Jeden Tag 4.000 Höhenmeter radeln ist anstrengend, und kann überfordernd sein. Ich habe daher mental gearbeitet, und somit hatte jeder Tag mehrere Tage in meinem Kopf. Tag 1 war dann der erste Pass. Wenn ich dann eine kurze Pause gemacht habe, habe ich in meinem Kopf den Tag abgeschlossen, und wenn ich mich wieder auf das Rad gesetzt habe für den nächsten Abschnitt habe ich mental mit einem neuen Tag gestartet. Also frisch, ausgeruht und mit voller Vorfreude. Das hat bei mir super funktioniert!

und wie bist du physisch damit umgegangen?

Ich habe sehr viel mit Routinen und Struktur gearbeitet. Ich hatte eine feste Routine zum Schlafen gehen und beim Aufwachen, um die Zeit neben dem Rad zu minimieren und die Erholung zu maximieren. Ich hatte zwar Isomatte & Schlafsack mit, habe mich dann aber doch jeden Abend für ein richtiges Bett entschieden.

»Ich habe mir bewusst Zeit gegeben, mich zu erholen. Ich wollte das Rennen nicht „durchstehen“, sondern erleben«

Beim Monte Grappa Pass, bin ich von der Südseite kommend in der prallen Mittagshitze losgeradelt. Nicht ideal. Ich wusste ich brauche irgendwas, damit ich genug trinke.

»Also war meine Taktik folgende: Rechtskurve: Schluck Wasser trinken, Linkskurve: einen Schluck Iso-Drink. Immer in der Mitte eine Olive essen und circa alle Kurven ein Gummibärchen oder ein Stück Croissant.«

Somit bin ich ohne Pause und ohne Probleme den Pass hochgefahren. Ich konnte ihn vollends genießen, für viele andere war dies mit der schlimmste Pass!

Wie hast du dich auf Three Peaks Bike Race vorbereitet?

AFür so ein Rennen bereitet man sich meiner Meinung nach nicht nur in einem Jahr vor. Die Jahre an Bikepacking-Erfahrung davor haben mir das nötige Selbstvertrauen gegeben – und vor allem das Wissen, wie ich in Ausnahmesituationen funktioniere. Ich habe gezielt an meinen Schwachstellen gearbeitet, mit Unterstützung durch meinen Sportpsychologen. Das Three Peaks hat bis zu 40.000 Höhenmeter, je nach Streckenwahl, daher bin ich viele Höhenmeter gefahren und hatte noch ein paar sehr lange Touren als Vorbereitung (> 200 km).

Wie läuft das Race ab?

ADas Rennen ist simple: man startet in Wien und hat etwa 10 Tage Zeit um nach Nizza (oder Barcelona, je nach Edition) zu radeln. Es gibt einige Parcours denen man exakt folgen muss, ansonsten muss man die Strecke selbst und frei planen. Jedes Jahr ändert sich welche Peaks zu überwinden sind. In meinem Jahr (2024) waren das der Monte Grappa, der Grimselpass und der Grand Ballon in Frankreich. Start- und Zielabschnitt sind vorgegeben, den Rest plant man wie gesagt selbst. Insgesamt fährt man ca. 2.500 Kilometer und sammelt zwischen 35.000 und 40.000 Höhenmetern.

Was für Gefühle haben dich beim Race begleitet und was war deine wertvollste Erfahrung?

AViel Freiheit und Unabhängigkeit. Ich hatte eine sehr stressige Zeit davor und daher habe ich mich richtig auf diesen 10 Tage gefreut und es sehr genossen, in denen die größten „Probleme“ sind: Wo schlafe ich? Was esse ich? Wo bekomme ich Wasser? An mehr muss man nicht denken. Man kann die ganze Zeit tolle Landschaft genießen – die Bergwelt ist unglaublich! Es ist einfach krass, dass man an einem Tag fast die gesamte Schweiz aus eigener Kraft durchquert und am nächsten Tag vom Grimselpass bis nach Frankreich radelt.

»Man hat die ganze Zeit Staun-Erfahrungen, die einen motivieren: wie schön die Alpen sind und wie krass eigentlich der menschliche Körper ist und was wir alles leisten können.«

die Fahrer:innen müssen sich dabei selbst um Versorgung, Navigation etc. kümmern. Wie waren deine Erfahrungen damit?

AGenau, das ist das Grundprinzip: self-supported. Du bist für alles selbst verantwortlich –Navigation, Verpflegung, Reparaturen. Aber das ist keine Belastung, sondern eine große Freiheit. Es ist eine super Möglichkeit einfach seiner Intuition zu folgen, das Beste aus jedem Tag zu machen ohne strikt einem Plan folgen zu müssen. Wenn man ein Croissant essen will, dann isst man eins; wenn es gut geht, dann radelt man einfach weiter – wenn nicht, bleibt man stehen und macht eine kleine Pause. Ich habe vorher mit Gravel Grinders Graz einen Womens-Bicycle-Repair-Workshop gemacht und fühlte mich gut vorbereitet. Bei einer Panne kannst du jeden frei zugänglichen Fahrradladen nutzen. 

„No scratch at night“ lautet die Regel. Wenn du auf dem Trail erschöpfst bist, wie schaffst du es, dich zu motivieren, weiterzumachen?

No scratch at night: Die Regel legt fest, dass Fahrer:innen nachts nicht aus dem Rennen aussteigen dürfen – außer in Notfällen. So sollen vorschnelle Entscheidungen in Erschöpfungsphasen und unnötige Risiken im Dunkeln vermieden werden

AIch finde im Idealfall sollte es gar nicht so weit kommen. Ultracycling bedeutet für mich, sich selbst gut zu kennen – und zu wissen, wann man eine Pause braucht. Ich bin das TPBR gefahren, weil ich die Alpen erleben wollte. Meine Tage starteten früh um 5 Uhr und gingen bis etwa 21 Uhr – genug Zeit für Strecke und Schlaf. Jede:r kann das Rennen auf die eigene Art fahren. Diese Vielfalt macht Ultracycling für mich so nachhaltig und spannend. Aber man muss sich oft vor Augen halten: nur ein paar der Leute die antreten machen es auf Profi Niveau. Die meisten sind wie du und ich: ambitionierte Sportler:innen, mit großem Abenteuergeist und Entdeckungsdrang. Für uns können andere Regeln gelten als für die Elite. 

»Es braucht mehr Geschichten von Menschen, die nicht ans Limit gehen wollen, sondern ans Ziel – mit Freude am Prozess und mit Respekt für den eigenen Körper.«

In den sozialen Medien wird oft ein sehr extremes Bild gezeigt: Schlafentzug, Erschöpfung, mentale Zusammenbrüche – und es scheint als müsste man dies machen, um zu finishen. Dabei wirkt es manchmal so, als wäre nur „hart“ auch „authentisch“. Für mich ist das aber nicht der Kern von Ultracycling. Ich finde: Es braucht mehr Geschichten von Menschen, die nicht ans Limit gehen wollen, sondern ans Ziel – mit Freude am Prozess und mit Respekt für den eigenen Körper. Deshalb teile ich auch bewusst Einblicke, die zeigen, wie schön, aber auch herausfordernd so eine Reise sein kann. Man muss einfach ganz bewusst unterscheiden zwischen Profis (Ulrich Bartholomäus, Jana Kesenheimer, …) oder normalen ambitionierten SportlerInnen. Das Limit liegt bei jeder Person wo anders, und dieses Limit muss jede:r für sich selbst herausfinden.

Frauen sind auf Ultra-races in der Minderheit. Welche Entwicklung nimmst du wahr, wie inspirierst du andere frauen und Was kannst du Frauen mitgeben, damit sich mehr an Ultracycling wagen?

ALeider ist der Frauenanteil immer noch gering – aber es tut sich etwas! Eine tolle Initiative sind zum Beispiel die Laels Rallies von Lael Wilcox oder #100TCR Women vom Trans Continental. Generell wird dem Frauen Radsport immer mehr Sichtbarkeit gegeben, zum Beispiel auch bei der Tour de Femmes. Auch Gravel Grinders Graz organisieren Women-Bikepacking-Trips, um niedrigschwellige Einstiege zu ermöglichen. Ich bin überzeugt: Der erste Schritt ins Ultracycling ist Erfahrung – mit Mehrtagestouren, Übernachtungen draußen, Logistik und Körperbewusstsein, Community und sich gegenseitig zu unterstützen. Sobald das sitzt, wächst auch das Selbstvertrauen für große Distanzen.

Hat dich Ultracycling verändert und wenn ja, wie?

ADer Weg dort hin, ja. Und das Rennen gibt einen auf jeden Fall eine gute Portion Stolz & Selbstvertrauen in sich und seine Fähigkeiten und hat mir gezeigt wozu ich und mein Körper in der Lage sind. Aber es hat mir auch gezeigt, dass ich es für mich zum Spaß machen will mit dem Fokus auf ein Rennen gegen mich selbst. Das kann jeder für sich selbst entscheiden.

Du hast den ersten Gravel & Bikepacking Verein Österreichs mitbegründet. Was hat dich dazu motiviert und was bietet der Verein?

AMein Freund und ich sind zum Studium nach Graz gezogen und vor unserer Wohnung ging die Hauptradelstraße raus aus der Stadt – mit täglich sehr vielen Graveler:innen, aber wir kannten keinen. Das wollten wir ändern! Also haben wir Gravel Grinders Graz ins Leben gerufen. Mittlerweile hat GGG über 140 Mitglieder, und was am allerbesten ist: mit einen Frauenanteil von über 40%! Da wir nun nach Stockholm gezogen sind, haben wir den Verein an Svenja & Phillip abgegeben, die den Verein nun erfolgreich weiterführen. Von Early Bird Rides um 6.00 in der Früh mit einem Coffee-Stop, bis hin zu Womens Bikepacking Trips gibt es alles! Dank des Partners Bikepacking.at hat GGG vier komplette Ausrüstungssets zum Verleih. Diesen Sommer organisieren sie die „My-First-Time“ Serie, bei der man gemeinsam erste große Meilensteine wie 100 km oder 1.000 hm bewältigt.

Auf der Website von Gravel Grinders Graz findet ihr alle Infos rund um Mitgliedschaft, Mitgliedsbeitrag und Studierendenrabatt.

Was hast du aus deinem ersten Ultrarennen gelernt?

AIch habe gelernt, dass mein Körper viel mehr kann, als ich dachte – wenn ich ihm genug gebe: Essen, Schlaf, Pause. Ich habe gelernt, wie gut es tut, nicht gegen sich selbst zu fahren, sondern mit sich. Ich hatte mir fest vorgenommen, während des Rennens nicht auf den Tracker zu schauen – und das auch all meinen Freund:innen im Vorfeld gesagt. Trotzdem war es überwältigend zu sehen, wie viele mich mitverfolgt haben. An Tag 5 bekam ich dann einen Screenshot von einem Bekannten, auf dem ich meine Position im Feld gesehen habe. Und zack – der Konkurrenzgedanke war wieder da: Wenn ich jetzt die Pause skippe, hole ich sie vielleicht ein! Absolut unnötig. Ich stand gerade in einer kleinen Bäckerei, und habe mich umgesehen und dachte: Nein, das Croissant und den Cappucino gönne ich mir jetzt und dann geht es weiter. Ich mach mein Ding!

»Ich habe gelernt, wie gut es tut, nicht gegen sich selbst zu fahren, sondern mit sich.«

Habt ihr euch schon mal einer Herausforderung wie dem Ultracycling gestellt und was waren eure Erfahrungen dabei? Schreibt es uns in die Kommentare!

Wenn ihr noch mehr Geschichten von starken Frauen lesen wollt, die ihre Leidenschaft leben und andere inspirieren, dann lest auch unser Interview mit der Rennrad-Ikone Iris Slappendel.

Über die Autor:in

Maike Fuchs

Ihre Leidenschaft für Outdoor Aktivitäten, Feminismus und das Schreiben führte Maike zum The Female Explorer. Wenn sie nicht gerade für ihr Philosophiestudium Bücher wälzt, ist sie am liebsten mit ihrem Gravelbike oder wandernd draußen in der Natur unterwegs.

Wilder
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