Iris Slappendel über ihre Vision für Wandel im Frauenradsport
Die Ziellinie hat sie hinter sich gelassen – ihr Antrieb ist geblieben. Nach zwölf Jahren Radrennsport auf internationalem Topniveau beendete die ehemalige niederländische Meisterin Iris Slappendel ihre Karriere auf zwei Rädern. Der Radsport spielt dabei weiterhin eine große Rolle in ihrem Leben. Nach ihrer aktiven Karriere gründete sie ihre eigene Radbekleidungsmarke IRIS (ein Akronym für I Ride In Style) und ist Mitgründerin der The Cyclists‘ Alliance, einer Interessensvertretung für Radrennfahrerinnen. Im Interview erzählt uns Iris, welchen Herausforderungen sie sich während ihrer Karriere stellen musste, welche Vision sie mit ihren Projekten verfolgt und was sie sich für die Zukunft des Frauenradsports erhofft.
Iris Slappendel im Interview
Über viele Jahre prägte Iris Slappendel den internationalen Frauenradsport: Als Teil von renommierten Teams wie Garmin-Cervélo und Rabobank Women Cycling fuhr sie einige der größten Rennen der Welt. 2014 krönte sie ihre Karriere mit dem Titel der niederländischen Landesmeisterin im Straßenrennen. Nachdem sie 2016 den Gateway Cup in Missouri gewann, beendete sie ihre Radsportkarriere. Ihre Marke und die von ihr mitbegründete Gewerkschaft sind Ausdruck ihres unermüdlichen Engagements für mehr Sichtbarkeit und Fairness im Frauenradsport.
Der Barrierefreiheit zuliebe haben wir das Interview originalgetreu aus dem Englischen übersetzt.
Wann und wie hast Du deine Leidenschaft für den Radsport entdeckt?
IIch habe ursprünglich mit Eisschnelllauf angefangen – das ist hier ziemlich beliebt – und so bin ich zum Radsport gekommen. Radfahren war damals einfach das Training für den Sommer. Die Niederlande sind ein ziemlich fortschrittliches Land und es gibt viele Frauen, die Rad fahren. Aber für mich persönlich war es etwas schwieriger, da ich nicht aus einer wirklich sportlichen Familie stamme. Man braucht einiges an Ausrüstung fürs Radfahren und man muss reisen können, da die Rennen über das ganze Land verteilt stattfinden. Dennoch habe ich schnell gemerkt, dass ich ein Talent für diesen Sport habe. Und ich habe es geliebt, draußen zu sein und mich beim Fahren zu verausgaben. Eins führte zum anderen und so schaffte ich es, einen Profivertrag zu bekommen und bin 13 Jahre lang professionell Radrennen auf der ganzen Welt gefahren.
Ich persönlich bin sehr stolz darauf, 2014 die niederländische Landesmeisterschaft gewonnen zu haben. Aber auch darauf, Teil des besten internationalen Teams und der niederländischen Nationalmannschaft gewesen zu sein. Sie haben die große Etappenrennen wie den Giro d’Italia und die Weltmeisterschaften gewonnen, mit Marianne Vos und anderen. Es war eine tolle, aber auch herausfordernde Zeit und eine ganz besondere Erfahrung. Und obwohl ich keine Rennen mehr fahre, liebe ich es immernoch, Fahrrad zu fahren und Abenteuer zu erleben. Nur in einem langsameren Tempo!
Mit welchen Hürden hattest du als Frau im Radsport zu kämpfen und welche Veränderungen hin zu mehr Gleichberechtigung wünschst du dir?
IAls ich mit dem Radsport anfing, war es für mich völlig unvorstellbar, irgendwann einmal Profi zu werden. Das war einfach keine „Karriereoption“ für mich und ich wusste nicht einmal, dass so etwas überhaupt existiert. Damals gab es fast keine Radsportlerinnen die genug verdienten, um dieser Tätigkeit hauptberuflich nachzugehen.
»Es gab viele Hürden. Die wesentlichsten waren die geringe Repräsentation von Frauen in Profiteams und Sport generell, die sehr begrenzte Medienpräsenz sowie enorme Unterschiede in Bezahlung und Unterstützung.«
Ein wichtiger Fortschritt der letzten Jahre ist die Einführung eines einheitlichen Mindestlohns für alle professionellen Fahrerinnen. Aber es bleibt noch viel zu tun. Ich finde es nicht zielführend, den Frauensport ständig mit dem der Männer zu vergleichen. Wichtiger ist es, die Lücken innerhalb des Frauenradsports zu schließen und dafür zu sorgen, dass Neueinsteigerinnen faire Chancen haben. Auch Medien und Sportmarken spielen eine große Rolle dabei, die öffentliche Wahrnehmung zu prägen und mehr Möglichkeiten zu schaffen. Ich bin sehr optimistisch gestimmt, wenn ich sehe, wie der Frauensport insgesamt floriert und wie Frauen ihr unglaubliches Talent zeigen und ihre faszinierenden Geschichten erzählen.
Warum hast Du dich dazu entschieden, deine Karriere als Profi zu beenden und wie war dieser Übergang für dich?
IEs gab zwei Hauptgründe für meine Entscheidung. Erstens war ich 13 Jahre lang Profi-Radsportlerin und ab einem gewissen Punkt hat man einfach alles gesehen. Man hat die Welt bereist, ist alle Rennen mehrfach gefahren und ich habe gemerkt, dass meine inneres Feuer, wirklich alles zu geben, nachließ. Zweitens hatte ich schon immer auch noch andere Interessen neben dem Radfahren und ich war einfach sehr neugierig, diese zu entdecken!
»Ich wollte nie die Radfahrerin sein, die weitermacht, nur weil sie einen Vertrag hat und gut darin ist. Ich wollte hundert Prozent dabei sein – oder gar nicht.«
Trotzdem, obwohl ich mein Designstudium abgeschlossen und einige Ideen im Kopf hatte, denen ich nach dem Radsport nachgehen könnte, ist es am Anfang beängstigend, etwas so vertrautes aufzugeben. Nicht nur mein Körper veränderte sich nachdem ich mit dem Training und den Rennen aufhörte – es war auch seltsam, all die Einschränkungen hinter sich zu lassen, mit denen man als Profi jahrelang gelebt hat. Aber ich habe es auch genossen, neue Dinge in Angriff zu nehmen und meine anderen Fähigkeiten und Talente zu entdecken. Ich habe mir selbst ein Jahr gegeben, um das auszuprobieren, um meine eigene Marke zu gründen und zu sehen, wie sich das entwickelt. In diesem ersten Jahr habe ich außerdem eine internationale Vereinigung für Profi-Radsportlerinnen gegründet und angefangen, als Kommentatorin für Radsport bei Eurosport zu arbeiten. Ich war so beschäftigt, dass keine Zeit blieb, in ein Loch zu fallen!
Was hat dich dazu bewegt, deine eigenen Marke für Radbekleidung zu gründen?
IIch habe Produktdesign studiert und dachte, dass ich nach meiner Radsportkarriere vielleicht im Möbeldesign arbeiten würde. Aber bereits während meiner aktiven Zeit habe ich angefangen, für andere Radsportbekleidungsmarken zu designen. Für die Olympischen Spiele 2016 in Rio habe ich das Outfit des niederländischen Teams entworfen und das hat mir ein wenig Aufmerksamkeit verschafft. So bekam ich weitere Aufträge. Mir hat das richtig Spaß gemacht, aber als ich diese Projekte freiberuflich für andere Marken gemacht habe, gab es oft Einschränkungen im Designprozess – entweder aufgrund von Produktionsvorgaben, oder weil etwas als „zu kompliziert“ angesehen wurde.
»Und wenn es eine spezielle Frauenkollektion gab, war sie häufig nicht gleichwertig mit den Produkten für Männer.«
Als dann der Zeitpunkt kam, vom Profisport Abschied zu nehmen, wusste ich, dass ich meinen eigenen Weg gehen wollte, unabhängig von den Einschränkungen etablierter Marken. Klein anfangend, mit nur hundert Trikots und Radhosen, wollte ich etwas neues schaffen, das die Essenz des Radfahrens für Frauen wirklich repräsentiert. So entstand IRIS – eine Marke, bei der ich jeden Aspekt selbst gestalten und sicherstellen kann, dass in Sachen Qualität, Style und Funktionalität keine Kompromisse eingegangen werden.
Deine Entwürfe stechen heraus. wie schwer war es, deiner eigenen gestalterischen Vision treu zu bleiben?
IVon Anfang an habe ich auf mein eigenes Bauchgefühl gehört. Ich habe keine Radbekleidungsmarke gegründet, weil ich dachte, dass Frauenradsport eine große Marktlücke sei. Ich habe sie gegründet, weil ich Kleidung machen wollte, die ich gerne tragen würde. Sachen, bei denen man sich freut, sie anzuziehen. So bin ich an die Sache herangegangen und so mache ich es auch heute noch. Das ist nicht immer einfach, denn wenn man als Marke wächst, ist es leicht, auf die Bestseller zu schauen und zu denken: Davon sollte ich mehr machen. Aber dann denke ich: Nein, ich sollte dort bleiben, wo ich angefangen habe – nämlich Dinge machen, die wirklich Spaß machen und auffallen. Ich denke, diese Herangehensweise unterscheidet sich von der anderer Marken und ist meine Stärke.
Als ich 2017 angefangen habe, entwarf ich ein gelbes Trikot mit einem Augenmuster. Alle sagten: Ja, sieht toll aus, aber so ein Trikot würde ich beim Fahren nie anziehen! Ich habe mich gefragt, ob ich die Farbe oder das Muster ändern sollte, aber ich hatte das Gefühl, dass das richtig gut werden könnte. Als ich es dann produzierte, war es das meistverkaufte Jersey in diesem ersten Jahr. Das war die Bestätigung dafür, dass ich auf mein Bauchgefühl hören sollte. Natürlich wird man immer auch von Trends und dem Markt beeinflusst – das lässt sich nicht vermeiden – und meine Kollektionen heute sehen anders aus als noch vor drei Jahren. Aber das heißt nicht, dass ich einfarbige Trikots machen muss. Ich denke, in gewisser Weise behalte ich immer noch meine eigene Handschrift.
Nachhaltigkeit wird bei euch großgeschrieben. Wie genau setzt ihr dieses Prinzip in eurem Unternehmen um?
INachhaltigkeit steht bei IRIS seit Beginn im Mittelpunkt. Von unserer Designphilosophie bis hin zu den Produktionsprozessen legen wir größten Wert auf Umweltverantwortung. Eine unserer Hauptstrategien ist es, trendbeständige Kleidung zu entwerfen, die Langlebigkeit und Vielseitigkeit gewährleistet.
»Unsere Kollektionen sind bewusst so gestaltet, dass sich Teile über Jahre hinweg untereinander kombinieren lassen. So wollen wir den Bedarf an ständigem Konsum reduzieren.«
Darüber hinaus produzieren wir in kleinen Mengen, um Abfall zu minimieren und Überproduktion zu vermeiden. Unsere Stoffe stammen aus Europa und werden verantwortungsvoll hergestellt, oft unter Verwendung von recycelten Materialien wie Polyester. Alle Teile werden in Europa hergestellt. Wir verzichten seit mehreren Jahren vollständig auf Plastik. Und auch in anderen Bereichen setzen wir innovative Maßnahmen um, wie beispielsweise unser Reparaturservice oder die Nutzung von Restbeständen, um einzigartige Stücke in limitierter Auflage zu kreieren. Nachhaltigkeit ist für uns nicht nur ein Schlagwort. Sie ist ein grundlegender Teil dessen, wer wir sind und wofür wir stehen.
An wen richtet sich die Marke?
IDie Marke richtet sich an alle, die sie gerne tragen! Ich habe sehr hohe Ansprüche an Stoffe und Sitzpolster, und das sind technisch anspruchsvolle Komponenten. Das heißt aber nicht, dass es uns nur um Geschwindigkeit und Aerodynamik geht. Im Gegenteil, uns geht es darum, sich auf dem Rad selbstbewusst zu fühlen und Spaß zu haben. Ich habe bemerkt, dass viele Frauen – mich selbst eingeschlossen – sich durch das klassische Image des Radsports oft verunsichert oder ausgeschlossen fühlen. Mit IRIS will ich genau diese Barrieren abbauen und eine Marke schaffen, die Diversität, Individualität und farbenfrohes Selbstbewusstsein feiert. Das versuche ich in unseren Kampagnen zu vermitteln – es geht um Kleidung für normale Frauen. Wir fragen nicht, „Was ist der Industriestandard?“, sondern „Wie sieht meine Kundin aus?“ oder „Wie möchte sie aussehen?“. Und das ist nicht immer Größe S.
»Ich möchte Kleidung für jede Figur entwerfen, von XXS bis XXXL. Denn ich weiß, was für einen großen Unterschied es für viele Frauen macht, gut sitzende Kleidung zu haben.«
Neben deiner Marke Bist du Mitgründerin der „The Cyclists‘ Alliance“. Was hat dich dazu motiviert?
IMeine Motivation kam in erster Linie aus meiner eigenen Erfahrung als Profi-Radsportlerin und all den Hürden, die wir in einem männerdominierten Sport zu bewältigen hatten. Es war eine einzigartige Erfahrung, so viele Jahre Rennen zu fahren, aber es war nicht immer positiv und es war fast unmöglich, davon zu leben. Ich fand es wirklich merkwürdig, dass es für das Frauen-Peloton keine Organisation gab, an die man sich wenden konnte, um Hilfe und Unterstützung zu erhalten, und dass sich niemand wirklich für sie einsetzte. Damals, 2016 bis 2017, gab es viele Reformen und Veränderungen im Frauenradsport. Ich tat mich mit zwei anderen Radfahrerinnen zusammen und wir befragten das Peloton. Die Resonanz war überwältigend, was uns den letzten Anstoß zur Gründung von The Cyclists’ Alliance (TCA) gab.
»Es war eine einzigartige Erfahrung, so viele Jahre Rennen zu fahren, aber es war nicht immer positiv und es war fast unmöglich, davon zu leben.«
Das leistet die The Cyclists‘ Alliance
1. Interessensvertretung
Der TCA setzt sich für strengere Vorschriften und ein sicheres Rennumfeld ein und fördert gleichzeitig die Sichtbarkeit des Frauenradsports. Schwerpunktthemen sind die Sicherheit der Fahrerinnen im Wettkampf- und Teamumfeld, die finanzielle Unsicherheit – vor allem auf kontinentaler Ebene, wo 2024 über die Hälfte der Fahrerinnen weniger als 10.000 € verdienten – sowie die Unzureichende Sichtbarkeit und Berichterstattung durch Rundfunk und Fernsehen, die kommerzielles Wachstum und Engagement einschränken.
2. Unterstützungsdienste in Rechts- und Ethik-Fragen
Die unabhängigen Rechts- und Ethikexperten des TCA bieten den Fahrerinnen wichtige Unterstützung bei Fragen zu Arbeitsrechten und ethischen Verstößen und geben ihnen das Selbstvertrauen, ihre Karriere zu schützen und zu gestalten.
3. Wissensaustausch und Mentoring
Durch erweiterte Webinare und Mentoring vermittelt TCA Radsportlerinnen wichtiges Wissen – von Gehaltsverhandlungen bis hin zur Gesundheitsförderung für Frauen. So können sie ihre Karriere sowohl auf dem Rad als auch abseits davon erfolgreich gestalten.
»Wir hoffen, Gespräche anzustoßen, Barrieren abzubauen und eine Community zu schaffen, in der sich jede willkommen und unterstützt fühlt.«
Was verbindet deine Marke und deine Arbeit bei The Cyclists‘ Alliance?
IEine Marke aufzubauen und eine Gewerkschaft für Frauen im Radsport zu gründen, sind zwei sehr unterschiedliche Projekte. Anfangs habe ich The Cyclists‘ Alliance (TCA) und IRIS ganz bewusst getrennt behandelt. TCA ist auf ernsthafte Lobby- und Interessenarbeit fokussiert, während IRIS mein kreativer Ausgleich ist, ein Raum um Spaß und Innovation in Radsportbekleidung einfließen zu lassen. Mit der Zeit habe ich jedoch erkannt, dass es viele Überschneidungen zwischen beiden Projekten gibt. Beide Organisationen streben danach, den Status quo zu verändern, den Radsport für alle inklusiver und angenehmer zu gestalten und letztendlich den Weg für positive Veränderungen im Sport zu ebnen.
Ein Projekt, in dem sich die Welten von TCA und IRIS besonders gut verbinden, ist Super Future Females. Während sich TCA auf ernsthafte Lobbyarbeit konzentriert, ist es manchmal schwierig, komplexe Themen wie die Gewerkschaftsbildung einem breiteren Publikum zu vermitteln. Genau hier setzt Super Future Females an – ein kreativer und unbeschwerter Weg, um auf Reformbedarf im Frauenradsport aufmerksam zu machen. Indem wir coole Merchandise-Produkte wie T-Shirts, Anstecknadeln und Flaschen in Zusammenarbeit mit lokalen Künstler:innen designen, können wir Engagement unterhaltsam und zugänglich machen. Diese Initiativen stimmen mit IRIS‘ Werten wie Empowerment, Kreativität und Inklusivität überein. Wir hoffen, Gespräche anzustoßen, Barrieren abzubauen und eine Community zu schaffen, in der sich jede willkommen und unterstützt fühlt.
Was würdest du jungen Frauen, die in den Radsport einsteigen wollen, raten?
IIch befürchte, mein erster Ratschlag ist ein Klischee: habt Spaß dabei! Es ist ein harter Sport, aber wenn ihr ihn liebt und das Abenteuer genießt, ist er einfach großartig. Und zweitens: Habt keine Angst vor dem Scheitern. Beim Radfahren geht es den meisten von uns nicht darum, immer Rennen zu gewinnen. Aber wenn ihr keine Angst habt, etwas zu riskieren, werdet ihr irgendwann schöne Siege feiern!
Wenn ihr noch mehr spannende Interviews mit inspirierenden Power-Frauen lesen wollt, dann stöbert euch durch unsere Creators-Kategorie, in der wir euch weitere beeindruckende Creator:innen mit Outdoor-Faible vorstellen!
Was war euer prägendster Moment auf dem Rad? Welche Hürden habt ihr schon im Radsport erlebt und wie seid ihr damit umgegangen? Schreibt es uns in die Kommentare!