Gudrun Weikert – Die erste Bergführerin Deutschlands


Simone BalserText

Steffka BungeText

Gudrun WeikertFotos

90er Jahre in einer Schweizer Berghütte im Hochgebirge: Gudrun Weikert hat eine anstrengende Tour hinter sich und mischt sich unter die anderen Alpinisten. Da pflaumt sie ein Mann an: „Fräulein, die Bergführerjacke dürfen Sie aber nicht tragen, dass ist ja die ihres Mannes.” Gudrun erwidert: „Tatsächlich ist das meine Jacke. Ich bin selbst Bergführerin.“ Genau diese unerschütterliche Haltung machte Gudrun 1988 zur Pionierin. In einer Zeit, als der Bergsport noch fest in Männerhand war, wurde sie die erste staatlich geprüfte Bergführerin Deutschlands. Wir durften Ihr ein paar Fragen über Ihre spannende Karriere und ihr Leben stellen.

Gudrun Weikert
Ein steiniger Weg zum Traumberuf

»Kind, Du kannst ALLES machen«

Geboren 1959 wuchs Gudrun Weikert zwar in einer von klassischen Rollenbildern geprägten Familie auf, doch schon früh zeichnete sich ab, dass sie ihren eigenen Weg gehen würde und sie mit der Devise „Kind, du kannst alles machen“ aufgezogen wurde. Dabei war Sport schon immer ein großer Teil ihres Lebens – in ihrer Kindheit und Jugend waren es Leichtathletik, Handball und Volleyball. Den Bergsport entdeckte sie erst mit 18 Jahren für sich. Ihre Liebe zu den Bergen und ihre Zielstrebigkeit führten sie schließlich zur Ausbildung als staatlich geprüfte Berg- und Skiführerin – eine Rolle, die bis zu ihrem Abschluss 1988 in der BRD ausschließlich von Männern ausgeführt wurde.

Erfahrungen auf Fels, Eis und Schnee

Gudrun wurde zum ersten Mal mit dem Beruf konfrontiert, als ihr damaliger Freund die Ausbildung absolvierte und sie mit ihm zusammen schon seit ein paar Jahren Kletter-, Eiskletter- und Skitouren unternahm. Mit der Unterstützung ihres Freundes und inspiriert von Nicole Niquille, der ersten Schweizer Bergführerin, entschloss sie sich, selbst diesen Weg einzuschlagen. Fünf Jahre lange sammelte sie Fels-, Eis- und Skihochtouren in ihrem Tourenbuch. Mit dieser Erfahrung und überzeugt von ihrem Können begann sie die Ausbildung zur Bergführerin an der TU München.

»Und es war erwartbar hart, auch teilweise wirklich körperlich am Limit, aber es war eben die Aufgabe, die auch andere zu erfüllen hatten, die auch als Führungsaufgabe von Gästen an mich gestellt werden würde. Und wenn ich mit diesen unterwegs bin, übernehme ich Verantwortung für deren Leib und Leben.«

Herausforderungen der Ausbildung

Während der Ausbildung merkte sie schnell, dass sie in extremem Situation sehr ruhig und besonnen reagieren kann – eine Grundvoraussetzung für diesen Beruf. Ihr Weg war jedoch nicht ohne Herausforderungen. Gudrun musste sich nicht nur durch die physisch anspruchsvolle Ausbildung kämpfen, sondern auch gegen die Vorurteile und Stereotypen, die ihr als Frau im Bergsport begegneten. Auf die Frage, welche Hindernisse und Herausforderungen es auf diesem Weg gab, antwortet sie:

G Ich glaube die „Herausforderungen“ waren für meine Ausbilder höher als für mich – ich war es gewohnt in einer Männerwelt rumzuturnen, auch vorne dran. Meine Mitbewerber waren schnell damit beschäftigt, selbst die Aufgaben zu erfüllen ohne auf jemand anderen zu schauen. Nichtsdestotrotz hat sich ein tolles kameradschaftliches Verhältnis zu meinen späteren Kollegen entwickelt, so wie es auch heute noch der Fall ist – ebenso zu den Ausbildern und späteren Kollegen. Im Praktikum war es allerdings schon so, dass ich mit dem klassischen Rollenbild des männlichen Alpinisten konfrontiert wurde, der seine Frau daheim lässt, um sich alpinen Herausforderungen zu stellen, die selbst er nur mit Bergführer bewältigt. Und dann steht plötzlich eine junge Bergführerin vor ihm. Da gab es schon noch Machtkämpfe. Ich spreche hier über die Jahre nach 1988 bis ca. 2000. Danach wurde es dann schon deutlich „geschmeidiger“ und die Frauen entdeckten/durften entdecken, dass es Freude macht im Gebirge unterwegs zu sein. (Übrigens bis heute das deutlich angenehmere Publikum!)

»Die Aufgabe am Berg fragt nicht ob Du als Frau oder Mann deinen Gast im Lawinengebiet führst oder aus der Spalte retten musst.«

Bild 1 – Ein Meer aus Nebel und Fels: Gudrun in den Dolomiten
Bild 2 – In ca. 600 m Wandhöhe in der Nordwestwand des Half Dome, Yosemite (1990)

Höhepunkte einer Bergführerin-Karriere

Ob in Grönland, der Antarktis oder in den Alpen, seit 1988 führt Gudrun Weikert Gäste durch die Hochgebirge dieser Welt. Dabei waren einige psychisch extreme Herausforderungen, wie an einer Eiswand, nur gesichert an zwei Eisgeräten, eine Lawine zu überstehen. Als besonderes Highlight in ihrer Karriere bezeichnet sie die Expedition zur Insel Südgeorgien im südantarktischen Meer. Der Versuch, die Shackleton-Route zu durchqueren, endete zwar in einem schweren Sturm, hinterließ aber bleibende Eindrücke. Südgeorgien, von Weikert als „Garten Eden unseres Planeten“ beschrieben, beeindruckt mit nahezu unberührter Natur, riesigen Kolonien von Pinguinen, Robben und Seelöwen sowie Bergen, die fast 3.000 m aus dem Meer ragen. Für Weikert symbolisiert diese Erfahrung die Essenz des Bergsteigens:

Zwischen Fels und Familie

Die Balance zwischen Beruf, Sport und Familie zu finden, ist oft eine Herausforderung, besonders in Berufen, die körperlich fordernd und zeitintensiv sind wie der einer Bergführerin. Auf die Frage, wie sie Beruf, Alltag und Familie in Einklang brachte und welche Phasen besonders herausfordernd waren, erzählte sie uns:

GBeruf und Sport waren praktisch eins – ich habe wirklich das Glück gehabt, dies als Dozentin in eben jenen Bereichen im Beruf auszuleben, beruflich und privat als Bergführerin oder als Alpinistin unterwegs sein zu können. Extrem herausfordernd war, als meine Tochter geboren war, da bin ich in ein immenses Loch gefallen, da ich nicht im Mindesten vorbereitet war, ein so selbstbestimmtes Leben, bei dem ich teils wochenlang z. B. in den Dolomiten unterwegs war, aufzugeben bzw. es mit einem Baby zu managen. Ich hatte den Eindruck, ich hätte vollkommen meine Identität verloren – mir ging es sehr schlecht und mein persönliches Umfeld war darüber fast handlungsunfähig, weil sie das von mir nicht kannten. Über Umwege habe ich dann doch noch das Ruder herumgerissen und danach versucht, alles irgendwie in Einklang zu bringen – viel Hilfe hatte ich dabei durch meine Eltern und meinen Lebenspartner. 

Filmtipp: Die sehenswerte Dokumentation „Lebenslinien“ des BR berichtet über diese Phase ihres Lebens.

Lieber mit Frauen am Berg

Gudrun schätzt an ihrer Arbeit als Bergführerin besonders die enge Zusammenarbeit mit Menschen und die intensive Konzentration auf die unmittelbare Aufgabe. Sie vergleicht es mit dem Klettern, denn dabei ist man vollkommen auf die Lösung konzentriert, ohne ablenkende Gedanken. Dabei stellt sie aber immer wieder Unterschiede in der Führung von männlichen und weiblichen Kunden fest. Frauen seien leichter zu führen, sagt sie, da es kein vertikales Machtgerangel unter ihnen gibt. Sie akzeptieren die Kompetenz der Bergführerin, was manchen Männer schwerer fällt.

Die Herausforderungen des Alters

Jetzt, mit fast 65, empfindet sie es als anstrengend, die körperliche Fitness beizubehalten. Trotz intensiven Trainings ist es schwierig, den gewohnten Standard zu halten. Innerlich fühlt sie sich immer noch so „alt wie immer“. Für Gudrun ist es wichtig, sich dennoch nicht selbst zu verlieren und freut sich, dass sie immer noch gut mitspielen kann. Sie hat noch einige sportliche Ziele, die sie erreichen will. Auch wenn es keine aufsehenerregende Achttausender Expedition mehr sind. Sie konzentriert sich jetzt eher auf persönliche Projekte und Träume. Auf die Frage, welche Herausforderungen und Vorbehalte im Alter auf sie zukommen, berichtet sie:

G Es ist bitter. Auch zu registrieren, dass dich die Studis im ersten Kontakt als alte Frau wahrnehmen und erst dann, wenn du mit ihnen praktisch zu arbeiten beginnst, nachdem sie merken – hey die Alte kann ja was, und ja die ist richtig gut, erst dann kommst du mit ihnen in Kontakt auf Augenhöhe. Als junge Bergführerin angezweifelt, als alte Bergführerin abgelehnt, weil jede:r lieber in ein junges faltenfreies Gesicht blicken möchte. Und es erst zusätzliche Bemühungen braucht, damit deine Kundschaft dir vertraut und sich „fallen“ lässt. Ich glaube, dass es Männern anders geht. Ein älterer Mann wird gesellschaftlich anders wahrgenommen als eine ältere Frau. Und ja, ich weiß, es gibt tolle ältere Frauen. Und ja, ich weiß, vielleicht bin ich ebenfalls eine davon, wie mir oft gespiegelt wird, wenn ich diese Gedanken äußere. Aber ich merke doch selbst, wie sich die Wahrnehmung meiner Person von außen verändert hat. Und sehe doch die Enttäuschung in den Augen meines Gegenübers, wenn da eine alte Frau steht…

Von der Ausnahme zur Inspiration – Gudruns Vermächtnis am Berg

Heute ist Gudrun nicht nur eine Pionierin im Bergsport, sondern auch eine engagierte Ausbilderin und Mentorin. Sie leitet die Fachsportlehrerausbildung der Berg- und Skiführer an der TU München und setzt sich dafür ein, dass die nächste Generation von Bergführer:innen bestens ausgebildet und vorbereitet ist. Ihr Erbe und ihre Leidenschaft für den Bergsport leben in den vielen Menschen und vor allem Frauen weiter, die sie inspiriert und unterstützt.

GMittlerweile hat es sich in allen Berufswelten herausgestellt, dass Frauen mitspielen können, sozusagen mindestens auf Augenhöhe. Und es ist akzeptiert und als Vorteil anerkannt worden, dass Frauen teilweise anders arbeiten und somit dazu beitragen und an ein Problem nochmals anders herangehen. Teamplaying ist auch manchmal sinnvoll und es entscheidet nicht nur die pure Kraft über das Lösen eines Problems. Mittlerweile ist die Bergführerin in der Community Bergführer komplett angekommen und auch bei den Gästen, zumindest bei denen, die sich mit dem Bergsport ernsthaft auseinandersetzen.

Grudrun Weikert, die erste Bergführerin Deutschlands unterwegs im Schnee

»Egal ob es 100 vor mir gemacht haben, oder ob ich halt die Erste sein sollte. Das wichtigste ist Authentizität, würde ich sagen. Und das würde ich allen Frauen mit auf den Weg geben – egal ob sie Kinderkrankenschwester, Pilotin oder Hausfrau werden möchten.«

Gudrun Weikert ist ein tolles Beispiel dafür, was möglich ist, wenn man einfach seiner Leidenschaft folgt und sich nicht von gesellschaftlichen Normen einschränken lässt. Ihre Geschichte ist eine, die Mut macht und zeigt, dass mit Entschlossenheit und Authentizität alles zu erreichen ist. „Ich bin einfach mit Herzblut dabei“, sagt sie. Und genau das spürt man in jeder Facette ihres beeindruckenden Lebens und ihrer Karriere.

Ihr interessiert euch für die Ausbildung zum Berg- und Skiführer? Schaut mal in unseren Guide vorbei.

Was sind eure Erfahrungen als Frau in den alpinistischen Disziplinen? Hat sich das Bild hier von Frauen durch Gudrun Weikert geändert? Wir sind gespannt auf eure Erfahrungen! Schreibt es uns in die Kommentaren!

Über die Autor:innen

Simone Balser

Simmi, Content Creator, Redakteurin und Yogalehrerin ist am liebsten draußen unterwegs. Ob Wandern, mit dem Van und Hund oder Joggen, Snowboarden oder Gärtnern. Hauptsache outdoor.

Steffka Bunge

Steffka ist Chefredakteurin und Lektorin beim Female Explorer und liebt es, sich mit den Abenteuer-Storys der Community an verschiedene Ort zu träumen. In freien Momenten bereist sie mit ihrer Familie die Welt, um sich am Zauber der Natur zu erquicken und im Wasser beim Schnorcheln und Tauchen den Alltag zu vergessen.

Wilder
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